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Meine französische Worte sind zu stark. Zu schwach.

paris

An alle, die immer noch weinen,
An alle, die uns bitten, aufzuhören,

Meine Worte werden deutsch sein. Es ist vielleicht das erste Mal, dass ich auf deutsch schreibe. Aber auf französisch ist es komischerweise unmöglich. Meine französische Worte klingeln zu stark. Klingeln zu schwach. Sie kommen einfach nicht. Einfach ist es ja nicht. Ich glaube, dass ich mich illegitim fühle. Illegitim. So fühlte ich mich vorgestern im Flughafen. Weil ich am Freitag, den 13. nicht in Paris war. Ich habe kein Blut gesehen, keinen Verletzten gerettet, und, zum Glück, wurde keiner von meinen Freunden betroffen. Illegitim und kämpfe doch mit den Tränen. So eine lähmende Angst hatte ich noch nie empfunden. Jede meiner Körperzellen sind überzeugt, dass ich mit Sicherheit sterben werde, wenn ich ins Flugzeug einsteige. Ich bin als letzte eingestiegen. Unter Tränen. Unter Tränen bin ich während des ganzen Flugs geblieben. In Paris hat mein Körper stark abgelehnt, raus zu gehen. Unfähig zu essen, ich habe den ganzen Tag Paris durch das Fenster geguckt. Die Freude ist verschwunden. Die Angst und, noch stärker, das Schuldgefühl, herrschen über mich. Und dagegen kann kein einziger Gedanke kämpfen. Kein Vergleich mit keinem anderen Land. Meiner Meinung nach darf man sowieso Gefühle nicht ermessen. Es gibt immer schlimmeres. Stimmt. Toll. Meine Gefühle werden jedoch nicht heruntergespielt. Ganz im Gegenteil.

Ich bin gerade wieder in Berlin gelandet. Erleichtert bin ich gar nicht. Ich weine immer noch. Als wir durch die weißen Wolken durchgeflogen sind, habe ich an Gott gedacht. Ich habe nie an ihn geglaubt. Ich habe nur gedacht, dass er sicherlich jetzt grinst. Nicht gemein, sondern liebevoll. Wir, die Menschen, die fast fähig sind, Kartoffeln auf Mars anzubauen, stehen jetzt fest zuhause, zu erschrocken, um in die U-bahn einzusteigen.

Deshalb weinen wir heute. Auch die Leute, die keine Verwandte verloren haben. Wenn die Herrschaft der Angst ans Ende gekommen ist, kommt die Verständnislosigkeit. Als Kind war ich stolz zu erklären „ich fürchte keinen Gott, ich glaube an die Menschlichkeit“. Heute fürchte ich die Menschlichkeit. Alle diese Menschen, die die Welt nicht mehr verstehen, die nach Schuldigen suchen. Eine Welt, die sich heute viel zu schnell dreht. Gesellschaften, die keine Werte mehr tragen. Gesellschaften, die verstoßen statt aufnehmen, die bestrafen statt vorsorgen, die immer mehr Polizei statt Kunst finanziell unterstützt. Seit Jahren fragen wir uns, Franzosen, wo die „Fraternité“ in unserer Heimat verschwunden ist.

Ich glaube, dass die Jungen, die meine Landsleute ohne zu zögern erschossen haben, haben die gleiche Angst als ich. Das gleiche Gefühl, dass wir die Kontrolle auf unser Leben verloren haben, dass die Welt sich jetzt ohne uns weiter dreht.

Ich bin gerade wieder in Berlin gelandet, und weine immer noch. Ich werde in die U-Bahn einsteigen, und an alle meine Freunde denken, die jetzt in Paris nur das Auto benutzen. Heute Abend werde ich ins Kino gehen, vielleicht eben am Potsdamer Platz mit tausenden Leuten, und an alle meine Freunde denken, die in den nächsten Monaten ins Kino oder Konzert nicht gehen werden.

Vorgestern habe ich in Schönefeld gezweifelt, ins Flugzeug einsteigen zu wollen, heute habe ich in Orly gezweifelt, ins Flugzeug einsteigen zu wollen. Immer noch dieses Schuldgefühl. Dieses Unverständnis. Und jetzt diese wohlbekannte Einsamkeit, Ausländerin in meinen zwei Lieblingstädten zu sein.

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Auteur·e

julietirard

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